Dr. Heinz Gierlich: Rezension über das Buch >>Schmetterlinge der Poesie<< von Khaled Shomali

Khaled Shomali:

Schmetterlinge der Poesie

Liebesgedichte Arabisch und Deutsch

2020, Books on Demand, 144 Seiten

ISBN: 9783752627954

Khaled Shomali, geboren in Palästina in der Nähe von Bethlehem, lebt schon seit über 40 Jahren in Deutschland. Er hat Bauingenieurswesen in Aachen studiert und arbeitet auch in diesem Beruf. Seine Leidenschaft aber gilt der Lyrik, wovon zahlreiche Gedichtbände zeugen.

Die insgesamt 24 Gedichte, die Khaled Shomali in dem vorliegenden Band versammelt – einige nur wenige Verse lang, andere mehrere Seiten – zeichnen ein facettenreiches Bild der Liebe: Sich verzehrende Sehnsucht nach der oder dem Geliebten, Augenblicke der Erfüllung, die Ambivalenz der Liebe (der Geliebte „Umkreist meinen Arm wie ein Schal und eine Natter“, S. 117), Scheitern der Liebe und Liebesschmerz – all diese Aspekte werden in vielfachen Variationen entfaltet.

Thematisch reiht sich der Band damit ein in die Liebeslyrik aller Völker und Länder, denn überall dürften die Wesensbestandteile von Liebe gleich sein.

Ungewöhnlich jedoch – und das ist eine der Besonderheiten der vorliegenden Gedichte – ist die Gedankenführung in den meisten Texten. Sie folgt nicht einer stringenten Entwicklung von Situationen oder Gefühlen, einer äußeren oder inneren linearen Handlung, sondern ist eher kaleidoskopartig: Wie in einem Kaleidoskop die einzelnen Farbsegmente bei jeder Drehung neu gemischt werden, wobei sie immer wieder ein reizvolles, in sich stimmiges buntes Bild ergeben, mischt Khaled Shomali die vielfältigen Facetten des Themas Liebe in jedem einzelnen Gedicht immer wieder neu. Und dieses Verfahren ist dem „Gegenstand“, eben der Liebe, in hervorragender Weise angemessen: Folgt doch auch Liebe nicht einer strengen Logik, einem strengen Schema, sondern ist umgetrieben von den mannigfachsten, häufig unklaren, oft auch widersprüchlichen Gefühlen – oder anders gesagt: Sie folgt einer Logik ganz eigener Art: „… die Liebe hat ihr Geheimnis und ihre Logik“, formuliert der Dichter in Planet der Liebe (S. 55).

So spiegelt also die – von der Warte einer stringenten Gedankenführung aus gesehen – „ungeordnete“ innere Struktur dieser Gedichte die wild durcheinandergehenden Gedanken und Empfindungen in der liebenden Person wider.

Es ist wichtig, sich das bewusst zu machen, denn daraus ergibt sich die einzig angemessene Art und Weise, sich diesen Gedichten zu nähern: Man muss sich auf sie einlassen, in sie eintauchen, sich von den verschiedenen Wendungen bereitwillig tragen lassen. Und dann erlebt man, wie man von ihnen mit fortgetragen wird.

All dies wird bereits bei dem ersten Gedicht deutlich, das den Titel In allen Sprachen der Welt trägt und sieben Seiten umfasst.

Da ist die Rede von der Sprache der Liebe, einer Sprache, die dem geliebten Menschen die eigenen Gefühle mitzuteilen versucht, die sich aber auch immer wieder als unsinnig und unzulänglich erweist:

Würde der Mensch überprüfen was er sagt

Würde er erkennen dass das Gesagte unnötig war

oder:

Ich habe nicht gesagt was du gern hören möchtest

Weil die Buchstaben des Lobes stottern könnten

(S. 13/15)

Wichtiger als die Sprache und zuverlässiger ist das Herz, und nun werden die Liebesgefühle mit Naturbildern umschrieben; Zweige und Rosen stehen hier im Mittelpunkt. Nebenbei bedenkt das lyrische Ich die vermutliche Wirkung seines Verliebtseins auf Beobachter („Die ganze Welt weiß dass ich besessen bin“, S. 15) und findet weitere Bilder für seine Gefühle, diesmal Bilder vom Meer. Der Aspekt „Wirkung auf Dritte“ wird viele Verse weiter wieder aufgenommen und stärker entfaltet, und zwar in einem negativen Sinn: Da ist von „Neider[n]“ die Rede und von „übler Nachrede“, von „Schwarze[n] Gerüchte[e]“ und Zungen „wie Schwert und Natter“ (S. 19). Und dann abermals eine Wendung, wieder hin zur Meermetaphorik und anderen Naturbildern – und wieder hin zur Sprache selbst, konkret jetzt zum Gedicht und seiner engen Verbindung zur Liebe und zur Geliebten: „Die Liebe ist für mich notwendig wie meine Gedichte“ (S. 23); und auf der folgenden Seite:

Die Liebe ist meine Passion und du bist mein Gedicht

Wie schön sind die Gedichte

Wenn sie durch dich besiegelt werden

Zuletzt aber verflüchtigt sich die Besungene gewissermaßen, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmen:

Ich werde im Traum zu dir kommen

Um dich in Wirklichkeit zu sehen

[…]

Bist du hier

Oder ist es nur Einbildung?

(S. 25)

Wie schon gesagt: kein stringenter Gedankengang, aber genau das ist eine der Stärken dieses Gedichtes. Die Sprunghaftigkeit des Gedankens ist Ausdruck der geradezu irrlichternden Natur der Liebesempfindungen.

In diesem Gedicht findet sich schon manches, was sich als roter Faden durch das ganze Bändchen zieht: So die erwähnte ausgeprägte Wassermetaphorik, die schon in früheren Gedichten Shomalis eine große Rolle spielte, und das ebenfalls erwähnte Thema Dichtung / Gedicht.

Der Bildbereich Wasser erweist sich im Zusammenhang mit dem Thema Liebe als besonders ergiebig: Die verschiedenen Erscheinungsformen des Wassers – vom ruhenden Gewässer über den Wasserfall und den reißenden Fluss bis hin zum Meer mit seiner unergründlichen Tiefe (und das sind nur einige seiner Facetten) stellen ein unerschöpfliches Bildrepertoire bereit, um die verschiedenen Seiten der Liebe immer wieder neu zu gestalten. Etwa auch die Hindernisse der Liebe:

Mein Fluss schlängelt sich zu ihrem Meer

Und ich bleibe an ihrem Staudamm gefangen

heißt es beispielsweise in dem Gedicht Eine Brise und eine Rose (S. 31). Mitunter findet man auch eine überraschende Wendung wie etwa in dem Vers „Wasserfälle aus Sehnsucht füllen die Täler mit Birnen“ (Ich habe niemanden vermisst; S. 99); sie lassen die Leserin und den Leser innehalten, bis sich ihm aus der Kombination des Wortes Sehnsucht mit den Bildern eines Wasserfalls und eines mit süßen und saftigen Früchten gefüllten Tales der Sinn erschließt: als Bild für das Ziel und die Erfüllung einer unbändigen Sehnsucht.

Überraschend und sehr geglückt auch manche Formulierung, die ihre Bedeutung gewissermaßen „erfühlen“ lässt: „Er schmückt die Sterne des Himmels mit Sehnsucht“ (Früchte aus einem geheimen Garten, S. 103).

Dass unter den vielen Naturbildern auch die Schmetterlinge, die dem Band den Titel gegeben haben, immer wieder vorkommen, bedarf keiner eigenen Erwähnung. Das Bunte und, ja: auch Flatterhafte – in einem anregenden wie in einem fragwürdigen Sinn – eignet sich hervorragend als Bild für die verschiedenen Seiten der Liebe.

Ein weiterer roter Faden, der sich durch die Gedichte zieht, ist – wie bereits erwähnt – das Thema Dichtung / Gedicht selbst. Geradezu poetologisch in den Versen, die das Gedicht Planet der Liebe eröffnen (S. 55):

Das Schönste am Gedicht

Ist seine Aufrichtigkeit

Und das Wunderbarste ist sein tiefer Sinn

Das Gedicht wird aber auch zum „Thron“ für die Geliebte (Sie wartete nicht, S. 85) wie es andererseits zum Wesenselement des Dichters und zu seiner Gestaltungskraft wird (In Früchte aus einem geheimen Garten, S. 101):

Es ist das Gedicht das mich erschaffen wird

Als eine schöne Kette die den Hals schmückt

Und an späterer Stelle in demselben Gedicht, wieder mit leicht poetologischem Ton (S. 109):

Mir ist das Gedicht eine Heimat

Und der Traum vom Unmöglichen und das Betrachten

Auch hier kommt die Wassermetaphorik zum Tragen, wenn die Rede ist von den „Meereswellen des Gedichts“ (ebenda). Indes kann die Lyrik aber auch – selten – etwas Bedrohliches haben: Der Schlussvers desselben Gedichts lautet (S. 111): „Oh du Teufel der Lyrik du bist der Dichter.“

Schließlich kann jedoch das Gedicht selbst von der Wirklichkeit der Gefühle überwältigt werden:

Rhythmisch webt mein Herz sein Gedicht

Und die Lyrik ertrinkt im Augenblick des Wunsches.

So der Schluss des Gedichtes Am Strand (S. 131). Es sind zugleich die letzten Verse des ganzen Bandes. Damit schließt sich ein Kreis. Am Anfang hatten die Verse gestanden (In allen Sprachen der Welt, S. 13):

Ich vervollständige mein Gedicht

Dann beginne ich zu summen

Als reihten sich meine Buchstaben von allein aneinander

Die Buchstaben, die sich von selbst aneinander zu reihen scheinen, sie kommen aus dem Innersten des Dichters, aus seinem Herzen. Aber so kraftvoll das Gedicht auch ist, zu dem sich diese Buchstaben zusammenfügen: Es „ertrinkt im Augenblick des Wunsches“, der jede sprachliche Gestaltungsmöglichkeit noch übersteigt.

 

GESTALTUNG spielt auch auf der grafischen Ebene eine wichtige Rolle: Der ganze Band ist zweisprachig gehalten, die Gedichte wie auch das Titelblatt sind auf Arabisch und auf Deutsch wiedergegeben, wobei die Inhalte in den beiden Sprachen und Schriften immer einander gegenübergestellt sind.

Und selbst wenn man – wie der Rezensent – des Arabischen nicht mächtig ist, erfreut man sich an dem Filigranen dieser Schrift, an den Schwüngen, die durch die diakritischen Punkte, Striche und kleinen Kreise wie verziert erscheinen.

Das Titelblatt ist ein schönes Beispiel arabischer Kalligraphie. Diese ist von ihrem Ursprung her die Antwort der Künstler auf das islamische Bilderverbot: Da Menschen nicht abgebildet werden dürfen (was in zahlreichen Miniaturen glücklicherweise dann doch geschah), wird die Schrift selbst zum Bild. Hier besonders gelungen: Die beinahe symmetrischen großen Schwünge bilden gewissermaßen die Schmetterlinge ab, die im Titel genannt sind.

Sprachlich stand bei den vorliegenden Gedichten das Arabische am Anfang; die Übersetzung ins Deutsche hat Khaled Shomali dann selbst vorgenommen.

Eine weitere Besonderheit des vorliegenden Gedichtbandes ist die EINFÜHRUNG:

Auf nur vier Seiten gelingt es Shomali, einen kurzen Überblick über die Entwicklung des arabischen Gedichtes – einschließlich politischer Faktoren – zu geben und einen Einblick in seine formalen Grundelemente zu vermitteln. Die gleich am Anfang genannten „Drei Säulen: die bildhafte Sprache, die Musik des Gefühls und die Ästhetik der Fantasie“ lassen sich in seinen Gedichten auf jeder Seite wiederfinden.

Dr. Heinz Gierlich, Brühl

November 2020